Der Beckenboden multifunktionell und empfindlich

 

Der Beckenboden als eine der wichtigsten Muskelgruppen des Körpers wird kaum wahrgenommen, geschweige denn trainiert, solange er seine „tragende Rolle“ anstandslos erfüllt. Viele Frauen entdecken diesen geheimen und auch aufregenden Muskel im Becken erst relativ spät bei der Rückbildungsgymnastik nach der Schwangerschaft und damit ist es dann auch getan. Vielfach kann der Beckenboden eine Missachtung bis zur Menopause kompensieren. Ab 50 kommt es durch hormonelle Veränderungen zu einer Schwächung der Muskulatur. Diese begünstigt z.B. eine Senkung der Organe mit unterschiedlichen Folgen. Etwa jede zweite Frau entwickelt im Lauf ihres Lebens Einschränkungen der Beckenbodenfunktion, vor allem wenn der Körperbereich überlastet, vernachlässigt und nicht entsprechend trainiert wird.

 

Was ist der Beckenboden überhaupt?

Wie der Name sagt, ist der Beckenboden die tiefste Stelle des Beckens und schließt es nach unten ab. Die Muskulatur ist mit einer Hängematte vergleichbar, die zwischen den Beckenknochen aufgehängt ist und die wichtigste Stützfunktion für die Unterleibsorgane wie Gebärmutter, Harnblase und Darm übernimmt. Bewusst oder instinktiv wird zumindest die äußerste Muskelschicht spürbar, wenn die Blase ein dringendes Bedürfnis signalisiert und weit und breit kein WC auffindbar ist. Genau jener Bereich, der jetzt fest angespannt wird, um den Urin zu halten, ist ein Teil der Beckenbodenmuskulatur. In der Schwangerschaft leistet der Beckenboden Beachtliches. Er muss bis zur Entbindung das Gewicht der Gebärmutter tragen, den Druck von oben aushalten und außerdem die Strapazen der vaginalen Geburt mit Druck und Dehnung verkraften. Sind die Beckenmuskulatur, die Bänder und das Bindegewebe gut trainiert, wird diese Herausforderung anstandslos überstanden, aber vielfach bleibt auch eine Schwäche der Blase zurück. Diese wird nicht selten von jungen Müttern schamhaft verschwiegen und mit entsprechenden Vorlagen bewältigt.

 

Was leistet die Beckenbodenmuskulatur?

- Stützt die inneren Organe.
- Trägt das Gewicht während der Schwangerschaft und muss unter der Geburt nachgeben.
- Erlaubt und kontrolliert Wasserlassen und Stuhlgang.
- Stabilisiert die untere Wirbelsäule gemeinsam mit dem Zwerchfell, der Bauch- und Rückenmuskulatur.
- Stützt den Körper beim Stehen und Laufen im knöchernen Becken.
- Hat beim Sex aktivierenden Anteil.

 

Beeinträchtigungen der Beckenbodenmuskulatur

Übergewicht, hormonelle Umstellungen, die Entfernung der Gebärmutter und andere Eingriffe im Bauchraum, anhaltende Verstopfung, Husten durch chronische und akute Atemwegserkrankungen sowie Asthma, schweres Heben und langes Stehen strapazieren die Beckenbodenmuskulatur erheblich. Ihre Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit geht ohne gezielte Kräftigung nach und nach zur Neige. Hiervon sind ebenso die haltenden Bänder und die umliegenden Organe betroffen. Dies gilt selbst für junge Sportlerinnen, wenn der Druck von oben den Beckenboden praktisch erstarren und seine Dynamik zu wünschen übrig lässt. Mit fortschreitender Schwangerschaft und Veränderung der Haltung wird durch die Verlagerung des Körperschwerpunktes die Blase von ihrem natürlichen Platz verdrängt. Je umfangreicher der Bauch, umso kürzer werden die Intervalle des Wasserlassens. Zudem lockern Östrogene die Bänder im Becken. Unter der Geburt kann es zu Überdehnungen und Verletzungen des Beckenbodens kommen, sodass Harn- und Stuhlinkontinenz begünstigt werden kann. Zahlreiche Frauen befürchten dies und bevorzugen deshalb eine Schnittentbindung.

 

Nicht jede Sportart ist zu empfehlen

Als unproduktiv und direkt beckenbodenfeindlich gelten Aerobic, Joggen, Seil- und Trampolinspringen. Empfehlenswert sind Tanzen, Schwimmen, Ausdauertraining mit Hilfe von Stepper oder Crosstrainer, Reiten, Pilates unter entsprechender Anleitung sowie Yoga oder Qi-Gong. Die Muskulatur der Körpermitte wird beim Golfen gekräftigt und bei guter Rumpfstabilität gelingt der Abschlag besser. Nach Angaben der Harvard Medical School / USA sind 43% aller Frauen zwischen 37 und 54 Jahren von Inkontinenz betroffen. Verstärkend wirken sich Rauchen, Diabetes Typ-2 und die Zunahme die Lebensjahre aus. An letzterem kann man nichts ändern, aber an den meisten Risikofaktoren schon. Übrigens: Inkontinenz ist einer der wichtigsten Gründe für die Einweisung in ein Pflegeheim.

 

Gesund essen – genug trinken

Übergewicht ist immer eine Last für den Beckenboden und damit ein Risikofaktor. Überflüssige Pfunde purzeln, wenn Obst und Gemüse, Ballaststoffe von Vollkornprodukten unter weitgehendem Verzicht auf Fettreiches und Zuckersüßes verzehrt wird. Indischer Flohsamen trägt dazu bei, einen weichen, geformten Stuhl zu produzieren, vorausgesetzt es wird genug getrunken, weil sonst Verstopfung droht. Diese strapaziert den Beckenboden durch starkes Pressen beim Toilettengang. Wichtig sind 1,5-2 Liter Getränke bestehend aus stillem Wasser, Kräuter- und Früchtetee, 2-3 Tassen Kaffee über den Tag verteilt und Alkohol in geringen Mengen. Kohlensäurehaltige Getränke verändern das Säure-Basen-Gleichgewicht der Blase und der Verzicht auf Getränke zwei Stunden vor dem Schlafengehen sorgt für ungestörte Nachtruhe. Frauen trinken oft viel zu wenig aus Sorge vor häufigen Toilettengängen. Dies führt zu stark konzentriertem Urin und Reizungen der Blasenschleimhaut, die Harnwegsinfektionen provozieren. Außerdem gewöhnt sich die Blase an eine viel zu geringe Füllmenge. Um diesem entgegenzuwirken, ist ein Beckenbodentraining erforderlich.

 

Beckenbodentraining braucht Anleitung und Übung

Die Muskulatur bleibt lebenslang übungsfähig und trainierbar. Es geht jedoch nicht darum, die Vagina und die Pobacken fest zukneifen zu können, sondern die Muskulatur kennen zu lernen und die Übungen regelmäßig durchzuführen. Da der Zeitpunkt eines Verlustes der Funktionsfähigkeit wie Inkontinenz, Senkungsbeschwerden, Beckenbodenschmerzen und auch Schmerzen beim Sex kaum vorhersehbar sind, empfiehlt sich ein rechtzeitiges Training. Die beste Möglichkeit ist, sich einer Gruppe anzuschließen, die von einer Physiotherapeutin betreut wird. Frauenärztin und Frauenarzt beraten bei der Auswahl in Wohnortnähe, bieten Informationsmaterial und auch das Internet gibt Auskunft. Ob Teenager in der Mädchensprechstunde, Frauen vor und nach der Schwangerschaft sowie in der Menopause, die entsprechende Beckenbodengymnastik ist eine Maßnahme, die reiche Gesundheits-Zinsen bringt. Bei Beschwerden, die medikamentös behoben werden müssen und häufig auf Hormonstörungen beruhen, sind die Frauenärzte Ansprechpartner. Im Fall chirurgischer Eingriffe bietet die Urogynäkologie Rat und Hilfe. Und noch ein Tipp zum Schluss: Wird die Beckenbodenmuskulatur in ihrer Wirkung wahrgenommen, kann jede Frau Kamasutra, Tantra und Co. schlicht vergessen, denn der Sex wird viel intensiver.

 

Die Frauenärztinnen und Frauenärzte des Berufsverbandes der Frauenärzte wissen, dass Probleme wie Inkontinenz noch immer tabuisiert werden. Es ist wichtig, offen darüber zu sprechen.

 

Maria-E. Lange-Ernst